„Den Menschen ein Lächeln mit auf den Weg geben“: Kathrin Skriewe und ihr Gesprächsladen in Mühlhausen

Die Linsenstraße mitten in der Altstadt von Mühlhausen. Ein gemütliches Bistro lädt ein zu Wein und zum Verweilen.

Es gibt „Genuss im Fachwerk“ und Wärmepumpen, einen Bäcker, einen Optiker – und mittendrin den „Gesprächsladen“. „Vertraulich, anonym, verschwiegen, kostenfrei“ steht auf dem Aufsteller vor der Tür. Wer durch die Fenster des alten Fachwerkhauses guckt, sieht einen hellen Raum, einen Schreibtisch – und dahinter: Kathrin Skriewe.

Die Pfarrerin hat sich mit dem Laden einen lange gehegten Traum erfüllt. Zwölf Jahre war sie Krankenhausseelsorgerin im Ökumenischen Hainich-Klinikum in Mühlhausen. Daneben auch Notfallseelsorgerin. Sie hätte noch mal verlängern können in der Klinik. Doch die Idee eines Gesprächsladens ging Kathrin Skriewe nicht mehr aus dem Kopf. Auch der damalige Superintendent des Kirchenkreises Mühlhausen Andreas Piontek unterstützte die Idee – und nach langer Suche fand die Pfarrerin den Laden in der Linsenstraße: „Das hier ist der totale Glücksgriff. Es ist geschützter als die Hauptladenstraße oben am Steinweg, wo viele Leute im Sommer draußen sitzen und gucken, wer geht da so rein? Es ist aber trotzdem mitten in der Stadt, wo viele Menschen vorbeikommen.“

Mittlerweile gibt es den Gesprächsladen seit einem Jahr. Mit fast 500 Menschen hat Kathrin Skriewe in dieser Zeit gesprochen. Immer nur vis à vis, nie mit Paaren, nie mit Gruppen. „Es ist keine Beratung hier. Es ist wirklich niedrigschwellig. Die Leute kommen rein und sagen, ‚ich würde gerne mal mit Ihnen reden.‘ Dann sage ich: ‚Wir setzen uns mal hinter.‘ Und wenn ich merke, die sind ganz unsicher, dann sage ich erst mal: ‚Ich wollte mir jetzt eh einen Kaffee machen, möchten Sie auch einen?‘ Dann bin ich hier hinten, dann können die erst mal ankommen.“

Kathrin Skriewes Kaffeekonsum ist ordentlich gestiegen im vergangenen Jahr. Manchmal führt sie fünf bis sechs Gespräche am Tag, ganz selten auch mal neun. Das sei dann schon heftig. Viel Konzentration, kaum Pausen zum Durchatmen. Optimal seien drei bis vier Gespräche. Aber wegschicken möchte sie die Menschen nicht. Denn wer sich überwunden hat, über die Schwelle zu gehen, der möchte reden. Der muss etwas loswerden, die Seele erleichtern. Bei den jungen Leuten Mitte 20 geht es oft um Fragen der Ausbildung, des Berufs. Was will ich werden, welchen Weg soll ich einschlagen? Es geht auch um Drogenprobleme. Ehekrise, Kindererziehung: Das sind die Themen der Älteren, ab 30 aufwärts. Und wer die 50 überschritten hat, hat nicht selten schon den Partner verloren oder die Eltern, sucht das Gespräch, um über die Trauer zu sprechen. Oder als pflegende Angehörige über die große Belastung zuhause: „Die wissen genau: Ich kann denen nicht helfen. Darum geht es auch nicht, sondern dass einfach mal jemand zuhört. Einfach mal Dinge auf den Tisch packen und reden dürfen.“

Auch Mütter kommen, die ein Kind verloren haben oder wissen: Ihr Kind ist schwer krank, es wird sterben. „Wenn hier Mütter sitzen und weinen, weil ihre Kinder vor ihnen sterben. Das ist schon heftig. Da leide ich richtig mit. Mit all meiner Professionalität. Das geht mir schon auch an die Nieren. So ein Kind loslassen zu müssen.“

Die Gespräche seien ein sehr intensives Miteinander-Unterwegssein, sagt Kathrin Skriewe. Ihre langjährige Erfahrung als Klinik- und Notfallseelsorgerin hilft ihr dabei sehr. „Es geht immer sofort in die Tiefe. Ich habe hier ganz selten jemanden sitzen, der sagt, ‚Och, ich wollte mit Ihnen einfach mal reden.‘ Die meisten kommen mit ganz handfesten Sorgen und Problemen und sind ganz lange damit schon schwanger gegangen und möchten das jetzt einmal loswerden. Und wenn sie es schaffen, dann sehe ich die auch nicht wieder.“

Zuwendung und Zeit. Das kann die Pfarrerin den Menschen geben. Sie fragt, sie spiegelt viel, sagt den Gesprächssuchenden, wie sie sie erlebt. Kathrin Skriewe versteht sich als Wegbegleiterin: „Ich gehe ein Stück mit, halte ein Stück mit aus, trage ein Stück mit, aber nur ein Stückchen. Ihren Weg finden müssen die Menschen selbst.“ Ihr Anspruch: „So ein Gespräch zu führen, dass die Menschen möglichst mit einem Lächeln rausgehen können, jedenfalls für jetzt. Dass wir es miteinander schaffen, dass sie ein Stück Erleichterung finden, für jetzt.“

Die Gespräche führt die Pfarrerin im hinteren Bereich des Ladens, an einem runden Tisch hinter einem schlichten Regal, in dem künstliche Grünpflanzen stehen. An den Wänden hängt nichts, bis auf das Bild einer Kunsttherapeutin. Keine Ablenkung.

Dass der Gesprächsladen ein Angebot der evangelischen Kirche ist, steht draußen vor der Tür auf dem Aufsteller und den ausliegenden Postkarten. Das war ihr wichtig, sagt Kathrin Skriewe. Vielleicht ein Drittel der Menschen, die zu ihr kommen, sind mit Kirche und Glauben verbunden. „Ich gehe mit den Menschen dorthin, wo ihre Kraftquelle ist. Ich hinterfrage die Kraftquellen aber nicht. Wenn Christenmenschen hier sitzen, dann beten wir auch miteinander. Aber ich biete das von mir aus nicht an. Das kommt von den Menschen selbst.“

Eine kritische Situation hat die Pfarrerin im Gesprächsladen noch nicht erlebt. Niemanden hat sie bislang vor die Tür gesetzt. Aber es gibt durchaus Menschen, die mit deftigen Worten ihren ganzen Unmut über die aktuelle Politik auf den runden Tisch kippen: „Über die Scheiß Ampel, über weiß der Geier was. Und mein Anliegen ist ja, hinter diesem ganzen Gerede den Menschen zu finden. Das versuche ich dann. Und dann reden wir über völlig andere Sachen. Ich politisiere hier nicht. Aber sie wissen offensichtlich, dass man das hier einfach mal sagen darf. Wenn es ganz heftig wird, dann sage ich auch: Sie wissen schon, dass ich das anders sehe.“ Für die erfahrene Pfarrerin ist das ein Lernfeld. Die politische Einstellung nicht verwechseln mit dem Menschen, der dahintersteckt. „Es gibt auch Menschen, die dann hier schimpfen wie die Rohrspatzen. Und dann sage ich irgendwann: ‚Wie geht es Ihnen denn eigentlich? Och, mir geht’s eigentlich gut.‘ Da liegt was obenauf. Wenn wir es dann schaffen, dass sie für sich reflektieren, dann ist das auch schon mal schön fürs Gespräch.“

Für sich selbst spricht Kathrin Skriewe morgens, vor den Gesprächen, ein Gebet, und am Nachmittag, wenn der letzte Besucher die Tür hinter sich geschlossen hat. „Wenn ich gegen vier hier Schluss mache, dann gehe ich in die Küche und spüle die Tassen ab. Und Gott räumt hier vorne auf.“


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